Interview zur Roten Hand
„Rote Hand“ ermöglicht würdevolles Sterben
BERCHTESGADENER LAND. Die „Rote Hand“ ist deutschlandweit ein einzigartiges Pilotprojekt der ambu-lanten Ethikberatung im Netzwerk Hospiz. Sie zeigt in Notfallsituationen auf einen Blick, dass der Patient weder wiederbelebt noch ins Krankenhaus eingeliefert werden möchte. Sein Wille ist es, in Würde sterben zu dürfen. Welche Voraussetzungen gelten und wer eine „Rote Hand“ ausstellt, diskutieren Dr. Birgit Krause-Michel, Vorsitzende der ambulanten Ethikberatung, Dr. Sabine von Silva-Tarouca, Allgemeinmedizinerin und Hausärztin in Übersee sowie Rita Hafner vom Leitungsteam der ambulanten Pflege der Diakoniestation Freilassing/Bad Reichenhall.
Wie kam die Idee zur Roten Hand zustande?
Dr. Birgit Krause-Michel: Es gab damals einen tragischen Vorfall. Eine schwerstdemente Patientin in einem Pflegeheim aß und trank schon seit einiger Zeit nicht mehr. Sie befand sich im Sterbeprozess. Der Ehemann kümmerte sich rührend um sie. Als er mal nicht an ihrem Bett saß, kam es bei der Frau zu einer Sympto-matik, aufgrund derer der Notarzt gerufen wurde. Der kam und suchte die Patientenverfügung - vergebens. Weil er den Willen der Patientin somit nicht wusste, nahm er sie mit ins Krankenhaus, wo sie Tage drauf verstarb. Der Ehemann war außer sich. Wir von der ambulanten Ethikberatung haben uns daraufhin zusammengesetzt und überlegt, wie man Situationen, in denen es sehr schnell gehen muss, regeln kann. Man kennt das Symbol einer Hand von Autobahneinfahrten. Diese Schilder warnen davor die falsche Spur zu nehmen. Unsere „Rote Hand“ ist ebenfalls ein deutliches Stoppsignal. In der Form gibt es sie nicht bundesweit, sondern nur in Südostbayern.
Und was bedeutet dieses Stopp-Zeichen?
Dr. Birgit Krause-Michel: Der Patient weist durch die „Rote Hand“ noch einmal darauf hin, dass er keine Reanimation und keine lebensverlängernden Maßnahmen wünscht und dass er das in seiner Patientenverfügung auch so veranlasst hat. Es geht darum, sein Leiden lediglich zu lindern und ein würdevolles Sterben zuzulassen.
Wie kommen Patienten beziehungsweise deren Angehörige oder Bevollmächtigte an die „Rote Hand“?
Dr. Birgit Krause-Michel: Über den Hausarzt. Mit ihm gemeinsam füllen sie das Protokoll auf Verzicht zur Wiederbelebung und Therapieeskalation aus und unterschreiben es. Wichtig ist, dass Betreuer, Heim-mitarbeiter und Pflegende darüber informiert werden. Der „Rote Hand“- Aufkleber sollte gut sichtbar angebracht werden, etwa auf der Patientenakte.
Sie sind Hausärztin und eine Fürsprecherin der Roten Hand, warum?
Dr. Sabine von Silva-Tarouca: Auch früher schon haben wir Patienten in ihrer letzten Lebensphase begleitet. Vor etwa 15 Jahren ließ sich mein Praxispartner intensiv in Palliativmedizin ausbilden und engagierte sich auch im Netzwerk Hospiz. Wir haben einfach gesehen, dass Bedarf da ist und man vieles besser machen könnte. Ich komme gerade aus einem Seniorenheim, wo ich ein Gespräch mit einer Angehörigen hatte und genau das macht für mich die „Rote Hand“ so wichtig: Sie ist ein Signal, dass wir Ärzte mit dem Pflegepersonal, den Angehörigen und dem Patienten – soweit das noch möglich ist – reden müssen, damit in der nächsten Krisensituation alle wissen, was zu tun ist. Die Patientenverfügung ist uns in der Regel zwar bekannt, wird jedoch in Notfallsituationen oft nicht rechtzeitig kommuniziert.
Können Sie das als ambulante Pflegekraft bestätigen?
Rita Hafner: Ja, in der Hektik und dem Stress kann das passieren. Leider ist die „Rote Hand“ bei den direkt Betroffenen, also Patienten und Angehörigen, noch nicht ausreichend bekannt. Dabei gibt es sie schon fast zehn Jahre. Wenn Dinge im Vorfeld geklärt und alle auf demselben Stand wären und wissen, was zu tun ist, könnte man sich viele Ressourcen sparen. Ich hatte unlängst eine Patientin, die drei Mal hintereinander ins Krankenhaus gefahren wurde und sich abends wieder selbst entlassen hat, weil sie nicht in die Klinik wollte. So etwas blockiert unnütz den Notarzt. Mein Ziel ist, dass all meine Patienten über die „Rote Hand“ aufgeklärt sind. Dafür brauchen wir natürlich die Hausärzte mit im Boot.
Ist die „Rote Hand“ verbindlich?
Dr. Birgit Krause-Michel: Ja, die „Rote Hand“ muss beachtet werden, da sie den Willen und die Autonomie des Patienten signalisiert. Wir haben es von drei Juristen in der Ethikberatung prüfen lassen, alle bestätigen, dass eine Nichtbeachtung Körperverletzung wäre.
Die „Rote Hand“ bedeutet aber nicht, dass man keinerlei Behandlung haben möchte, richtig?
Dr. Birgit Krause-Michel: Genau. Erst gestern hat mich jemand angesprochen er habe Angst, dass er mit der „Roten Hand“ bei akuter Atemnot keine Hilfe mehr bekomme. Diese Sorge ist unbegründet. Die „Rote Hand“ ist kein Therapieabbruch, aber ihr wird ein anderes Therapieziel zugrunde gelegt, nämlich ein palliatives. Im Fokus stehen Linderung von Leiden und körperlichen Beschwerden. Wenn jemand sagt, er möchte nicht noch mal ins Krankenhaus eingeliefert werden bedeutet es nicht, dass man ihm deswegen nicht hilft. Es tritt dann der palliative Notfallplan ein, der mit dem Hausarzt besprochen und festgelegt wurde. Natürlich wird es auch Klinikeinweisungen trotz „Roter Hand“ geben, etwa bei einem Bruch, der behandelt werden muss. Aber die Kollegen im Krankenhaus wissen dann, dass sie nur das Nötigste machen müssen und den Patienten schnellstmöglich entlassen.
Was sind Ihre Erfahrungen, wie gehen Angehörige mit der „Roten Hand“ um?
Dr. Sabine von Silva-Tarouca: Die Angehörigen sind oft sehr engagiert und empathisch und wollen alles richtig machen. Deswegen haben sie sehr viel Angst, dass wegen ihnen jemand stirbt. Da kann die „Rote Hand“ noch mal ganz klar die Entscheidung des Patienten deutlich machen. Er will das so und hat es in seiner Patientenverfügung auch niedergelegt. Er möchte nicht reanimiert werden, er möchte stattdessen palliativmedizinisch versorgt werden und wünscht sich eine Sterbebegleitung. Wenn man das den Angehörigen vermitteln kann, ist die „Rote Hand“ eine große Entlastung, weil sie verstehen, dass es nicht darum geht eine Entscheidung für jemanden treffen zu müssen.
In einem Pflegeheim kann die Rote Hand an die Patientenakte geklebt werden. Was ist mit Patienten, die noch zu Hause versorgt werden?
Rita Hafner: Viele von ihnen haben einen Hausnotruf. Bei der Diakonie haben wir aktuell 33 Patienten, alle außer vier sind auch Versorgungspatienten und bei denen haben wir Vorarbeit geleistet: Wir wissen, wer eine Patientenverfügung hat, wer Angehörige hat, welcher Hausarzt zuständig ist. Bei solchen Notruf-systemen könnte auch die „Rote Hand“ hinterlegt werden. Dann wissen Notarzt, Sanitäter oder Pfleger die Wünsche des Patienten und dass er oder sie beispielsweise nicht ins Krankenhaus will.
Wann gilt die „Rote Hand“?
Dr. Sabine von Silva-Tarouca: Es gilt dasselbe wie in einer Patientenverfügung, nämlich wenn jemand seinen Willen nicht mehr bilden oder äußern kann. Ich weise meine Patienten immer darauf hin, dass sie zusätzlich schreiben können, dass sie gilt, wenn sie das Gefühl haben, ihren Willen nicht mehr bilden zu können, etwa in einer Paniksituation, einer Überforderungssituation, einer Schwächesituation. Man muss also nicht zwangsläufig bewusstlos sein.
Die „Rote Hand“ fordert viel Einsatz der Hausärzte, ist das machbar?
Dr. Sabine von Silva-Tarouca: Wir haben definitiv Zeitprobleme, das ist kein Geheimnis. Eine Beratung zur „Roten Hand“ wird von den Krankenkassen leider nicht finanziert. Auf der anderen Seite profitieren wir Hausärzte aber davon, wenn diese Dinge besprochen sind. Es gibt bereits Überlegungen, dass auch Notaufnahmekollegen die „Rote Hand“ ausstellen oder sie zumindest im Entlassungsbrief an den Hausarzt empfehlen könnten. Je mehr Beteiligte mithelfen, dem Patienten seinen Willen zu ermöglichen, desto besser.